Mary Wigman (* 13. November 1886 in Hannover; † 19. September 1973 in Berlin; eigentlich Karoline Sofie Marie Wiegmann) war eine deutsche Tänzerin, Choreografin und Tanzpädagogin. Sie machte den Ausdruckstanz als New German Dance international bekannt. Sie gilt als eine der einflussreichsten Wegbereiterinnnen des
rhythmisch-expressiven Ausdruckstanzes, der in den Jahren zwischen 1920
und 1935 nicht nur in Deutschland seine Blütezeit erlebte.
Marie Wiegmann war die Tochter eines Fahrradhändlers. Bereits als Kind wurde sie Mary gerufen, „weil doch die Hannoveraner einmal Könige von England waren und der Welfenstolz den Niedergang des Königreiches Hannover
zur preußischen Provinz nie ganz verwunden hat.“ (Müller 1986, S. 11).
Zu ihren ersten Auftritten passte sie den Familiennamen als „Wigman“ dem
englischen Vornamen an, sprach ihn jedoch deutsch „Wiggmann“ aus.
Sie verbrachte ihre Jugend in Hannover, England, den Niederlanden und Lausanne. Wigman studierte 1910/11 in Hellerau bei Émile Jaques-Dalcroze rhythmische Gymnastik, fühlte sich dort jedoch künstlerisch unbefriedigt. Danach hielt sie sich in Rom und Berlin auf. Auf Anraten des Malers Emil Nolde trat sie 1913 in Rudolph von Labans Schule für Kunst auf dem Monte Verità in der Schweiz ein. Laban war wesentlich an der Entwicklung des modernen Ausdruckstanzes beteiligt (Labanotation).
In München zeigte sie ihre ersten öffentlichen Tänze Hexentanz I, Lento und Ein Elfentanz. Sie blieb während des Ersten Weltkrieges in der Schweiz bei Laban als dessen Assistentin und unterrichtete in Zürich und Ascona. 1917 bot sie in Zürich drei verschiedene Programme, unter anderem mit den Tänzen Der Tänzer unserer lieben Frau, Das Opfer, Tempeltanz, Götzendienst und Vier ungarische Tanze nach Johannes Brahms. Dieses Programm führte sie erneut 1919 in Zürich und später in Deutschland auf. Erst die Aufführungen in Hamburg und Dresden brachten ihr den großen Durchbruch.
Im Jahr 1920 eröffnete sie selber eine Schule für modernen Tanz an der Bautzner Straße in Dresden. In der Dresdner Zeit hatte Wigman Kontakte zur lebendigen Kunstszene der Stadt, beispielsweise zu Ernst Ludwig Kirchner.
Ab 1921 fanden erste Aufführungen mit ihrer Tanzgruppe statt. 1923 im
Berliner Botanischen Garten gemachte Filmaufnahmen der Gruppe mit
Ausschnitten von Szenen aus einem Tanzdrama wurden 1925 in dem Film Wege zu Kraft und Schönheit veröffentlicht. Die Schule in der Bautzner Straße in Dresden ist heute die kleine Bühne (Kleine Szene) der Sächsischen Staatsoper Dresden.
Ihr berühmtester Schüler war Harald Kreutzberg. Berühmte Schülerinnen waren unter anderen Gret Palucca, Yvonne Georgi und Hanna Berger. Dore Hoyer,
die den Ausdruckstanz einer Wigman und Palucca weiter entwickelte,
arbeitete mehrfach mit Mary Wigman zusammen, war jedoch nie ihre
Schülerin. Zu ihren Schülern zählte auch Ursula Cain.
Auf Tourneen bereiste Mary Wigman mit ihrer gegründeten
Kammertanzgruppe Deutschland und die Nachbarländer. 1928 trat sie
erstmalig in London
und 1930 in den USA auf. Wigman war in den 1920er Jahren das Idol einer
Bewegung, die den Tanz aus der Unterordnung unter die Musik lösen
wollte. Nur selten tanzte sie zu nicht für sie komponierter Musik. Es
wurde oft lediglich mit der Begleitung durch Gongs oder Trommeln und in
seltenen Fällen ganz ohne Musik getanzt, was besonders in
intellektuellen Kreisen auf großen Anklang stieß.
Wigman kreierte unablässig neue Solotänze, darunter Tänze der Nacht, Der Spuk, Vision (alle 1920), Tanzrhythmen I und II, Tänze des Schweigens (alle 1920–23), Die abendlichen Tänze (1924), Visionen (1925), Helle Schwingungen (1927), Schwingende Landschaft (1929) und Das Opfer (1931). Gruppentänze trugen die Titel Die Feier I (1921), Die sieben Tänze des Lebens (1921), Szenen aus einem Tanzdrama (1923/24), Raumgesänge (1926), Die Feier II (1927/28) und Der Weg (1932).
1930 wirkte sie beim Münchner Tänzerkongress als Choreografin und Tänzerin in dem von Albert Talhoff geschaffenen Chorwerk Das Totenmal
zu Ehren der Toten im Ersten Weltkrieg mit.
Zu Beginn der 1930er Jahre
hatte Wigman allein in Dresden 360 Schüler, an den Filialen
einschließlich der in New York wurden weitere 1.500 Schüler unterrichtet. Der Ingenieur und Siemens-Manager Hanns Benkert half ihr nebenberuflich bei der Verwaltung dieser großen Organisation
und wurde zwischen 1930 und 1941 auch ihr Lebenspartner. Mary Wigman ist
von vielen namhaften Fotografen tanzend und in Portraits aufgenommen
worden, darunter Hugo Erfurth, Charlotte Rudolph, Albert Renger-Patzsch und Siegfried Enkelmann. Die hier abgebildete Sonderbriefmarke der deutschen Bundespost geht auf ein Foto von Renger-Patzsch zurück. Ernst Ludwig Kirchner schuf Mitte der 1920er Jahre das Gemälde Totentanz der Mary Wigman.
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wirkte sich umgehend durch das neue Gesetz Gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen
vom 25. April 1933 auf die Schule aus. Mary Wigman erlangte zunächst
eine Ausnahmeregelung, indem ihr für den Lehrgang ab September 1933
„ausnahmsweise 5% Schülerinnen nicht-arischer Abstammung“ genehmigt
wurden. Im Laufe der folgenden Jahre waren jedoch auch Schülerinnen wie die Jüdin und Berliner Primaballerina Ruth Abramowitsch zur Emigration gezwungen, ebenso wie das Mitglied ihrer Compagnie Pola Nirenska (1910-1992),
die Wigman noch 1935 bei einem Vortanzabend der Schule auftreten ließ
und als Lehrerin für einen Sommerkurs engagieren wollte, woraufhin ihr
1935 und 1937 „Judenfreundlichkeit“ vorgehalten wurde.
Die Wigman-Schule wurde 1933 Mitglied im Kampfbund für deutsche Kultur, Wigman selbst übernahm 1933-1934 die Ortsgruppenleitung der „Fachschaft Gymnastik und Tanz“ im Nationalsozialistischen Lehrerbund, notierte aber beispielsweise „Ortsgruppensitzung - zum Kotzen!“ in ihrem Tagebuch. Mit Schicksalslied (1935) und Herbstliche Tänze (1937) entstanden weitere Solotänze. 1936 choreografierte sie mit einer Gruppe von 80 Tänzern die Totenklage für das Festspiel Olympische Jugend anlässlich der Eröffnung der Olympischen Sommerspiele 1936.
1942 musste sie ihre Dresdner Schule verkaufen. Sie erhielt einen Gastlehrervertrag an der Abteilung Tanz der Hochschule für Musik in Leipzig. Im selben Jahr trat sie letztmals als Solotänzerin mit Abschied und Dank auf.
Nach 1945 begann sie erneut mit einer Leipziger Schule und inszenierte 1947 an der Oper Leipzig eine Aufsehen erregende Vorführung von Orpheus und Eurydike mit ihren Schülern. 1949 ließ sich Mary Wigman in West-Berlin nieder, wo sie eine neue Ausdruckstanzschule gründete, das Mary-Wigman-Studio.
Mit ihrer Gruppe bot sie Chorische Studien (1952) und Chorische Szenen (1953) dar. 1953 trat sie bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen zusammen mit ihren Schülern in Die Seherin ein letztes Mal selbst auf. Am Nationaltheater Mannheim choreographierte und inszenierte sie Saul (1954), Carl Orffs Catulli Carmina (1955) und Alkestis (1958), an der Städtischen Oper Berlin Sacre du printemps (1957) und zuletzt Orpheus und Eurydike (1961, Regisseur: Gustav Rudolf Sellner).
1954 erhielt sie den Schillerpreis der Stadt Mannheim.
1967 schloss sie ihr Berliner Studio und widmete sich der
Vortragstätigkeit im In- und Ausland. Mary Wigman starb 1973 und wurde
in einem Urnengrab auf dem Ostfriedhof Essen beigesetzt.
Tanztechnik und Improvisation basierend auf dem Wigmanstil
unterrichtet heute noch ihre Schülerin Katharine Sehnert. In Dresden und
Mannheim wurden jeweils eine Straße nach Mary Wigman benannt. In
Hannover wurde an ihrem früheren Wohnhaus in der Schmiedestraße 18 eine
Hinweistafel angebracht.
Quelle: Wikipedia
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