Die ersten eigenen Choreografien Pina Bauschs waren noch stark dem Modern Dance verpflichtet.
Ab den Sieben Todsünden (1976) und vor allem ab Blaubart änderte sich ihr Stil dann merklich und wurde zu dem, was später ihr Markenzeichen darstellen sollte: Gesang, Pantomime,
Sprache und Alltagsgesten erhielten einen wichtigen Anteil am
Bühnengeschehen. In ihren eigenen Worten: „Mich interessiert nicht so
sehr, wie sich Menschen bewegen, als was sie bewegt.“
Pina Bauschs „Fragen“
Ihre Art, die Stücke vorzubereiten, ist berühmt geworden. Im Laufe
der Zeit ging sie dazu über, ihren Tänzern Fragen und Aufgaben zu den
unterschiedlichsten Themen und Situationen zu stellen, die ihrer
Intuition nach zum Stück gehören könnten: „Mach mal etwas ganz Kleines.
Etwas abbrechen, was ist dann? Etwas Gefährliches mit einem niedlichen
Gegenstand tun. Eine Geste, die etwas mit Hilflosigkeit zu tun hat.“ Aus
den entstehenden Improvisationen
suchte sie das Material aus, das etwas noch nie Gesehenes darstellt,
und versuchte dann, es ins entstehende Stück einzubauen. Alle Antworten
oder Reaktionen, die sie erhielt, notierte sie − ohne Wertung und ohne
Kommentar. Auf diese Weise entstand eine riesige Materialsammlung, von
der am Ende über 90% wieder ausgesondert wurden.
Inszenierung
Pina Bauschs Stücke waren Collagen und Montagen,
Bilderfolgen an der Grenze zwischen Realität und Traum, mit vielen
Parallelhandlungen, die gleichzeitig auf der Bühne ausgeführt wurden.
Auch die Wiederholung einer Handlung war bei ihr ein wichtiges
Stilmittel, so forderte z. B. das mehrfache Wiederholen der
immergleichen Szene (wodurch gerade die Abweichungen besonders betont
werden) in Blaubart vom Zuschauer ausgesprochene psychische Belastbarkeit und die Fähigkeit, Nuancen wahrzunehmen.
Die revueartigen Stücke folgten einer inneren Logik, einem Bewusstseinsstrom
und nicht einer äußerlich zusammenhängenden Geschichte. Pina Bausch
arbeitete äußerst akribisch und sagte von sich: „Meine Stücke wachsen
nicht von vorne nach hinten, sondern von innen nach außen.“ Das führte dazu, dass die Szenenfolge manchmal bei der Generalprobe noch nicht ganz feststand. Die letzte Entscheidung traf Pina Bausch dann oft sehr spät.
Ensemble
Für dieses Vorgehen brauchte sie Tänzer, die nicht einer idealen
Körpernorm entsprachen und daher auch nicht das klassische Tanzideal
verkörperten oder verlangten. Sie mussten bereit sein, wegzugehen von
der Schönheit, der idealen Unverwundbarkeit, und bereit sein, sich auch
als die Menschen und Typen, die sie sind, auf die Bühne zu stellen,
Sprache zu verwenden, Mimik zu zeigen, Schwäche zu demonstrieren. In
einem Alter, in dem klassische Tänzer nicht mehr auf der Bühne gefragt
sind, tanzten Pina Bauschs Ensemblemitglieder immer noch. Sie äußerte
einmal, dass sie nicht so interessiert sei an Tänzern, die alles sofort
„ganz toll“ machen. Sie bevorzuge die, die sich selbst vielleicht noch
nicht so ganz kennen, denen sie vielleicht auch helfen könne, etwas
Neues zu entdecken (Schulze-Reuber, 2005). Das erforderte ein sehr
enges, offenes und vertrauensvolles Verhältnis zu den Tänzern ihres
Ensembles, von denen einige, wie Dominique Mercy, Jan Minarik, Jo Ann Endicott, Bernd Uwe Marszan, Helena Pikon und Ruth Amarante fast seit Beginn ihrer Laufbahn über viele Jahre hinweg mit ihr zusammenarbeiteten.
Musik
Auch ihre Musikauswahl war eklektisch: Gershwin kam genau so zum Einsatz wie Purcell, Gluck, Tango,
alte Schlager oder ein Kinderlied. Verwendet wurde, was der jeweiligen
Szene diente, ihre Stimmung unterstrich oder, indem es sie unterlief,
eine Bedeutungsebene hinzufügte.
Bühnenbild
Ebenso wichtig war das Bühnenbild:
Da der visuelle Eindruck dieser Art Theater nicht nur von Bewegung
abhängt, musste das Bühnenbild das Nach-außen-Bringen des inneren
Zustands unterstreichen, dem Zuschauer Zustände und Gefühle vermitteln
und dem Ensemble den Raum bieten, in dem sich die psychologische Handlung entfalten konnte. Pina Bauschs erster Bühnenbildner Rolf Borzik
setzte bis zu seinem frühen Tod 1980 Maßstäbe mit seinen Bühnenräumen
für ihre Aufführungen. Besonders auffällig war bei ihr die Verwendung
von natürlichen Materialien: Wasser, Erde, Rasen, Zweige, Nelken, Torf
oder trockene Blätter, mit denen der Tanzboden bedeckt war. Das
Bühnenbild wurde immer zuletzt auf die Bühne gebracht, um den
Ideenfindungsprozess der Tänzer nicht zu beeinflussen.
Inhalte
Pina Bauschs Stücke handelten von sehr persönlichen und gleichzeitig
universellen Themen, von Ängsten, Terror, Tod, Verlassenwerden, Liebe
und Sehnsucht und dem Verhältnis zwischen den Geschlechtern.
Kinderspiele wurden vorgeführt, Männer trugen Frauenkleider, aus
Zärtlichkeiten wurde Gewalt und umgekehrt. Menschen prostituierten sich
voreinander, um ein Gegenüber zu finden. Immer waren die gefundenen
Bilder so ungewöhnlich wie möglich. Die Masken und Verhaltensweisen, die
ein Mensch in der Gesellschaft zeigt, wurden grotesk aufs Korn
genommen. Arien zeigt die unglückliche Liebesgeschichte zwischen einer Frau und einem Nilpferd. In Café Müller
sind zwei Männer im Abendanzug ins Gespräch vertieft. Doch das
„Gespräch“ ist keine gemeinsame Unterhaltung, denn einer bläst
Rauchringe in die Luft, der andere trinkt aus einem Glas und lässt das
Getrunkene aus dem Mund übers Kinn rinnen – Komik und
Kommunikationslosigkeit zugleich. Das ausgeprägte Ringen mit der kalten
Realität und die Hoffnungslosigkeit, die ihre frühen Stücke
auszeichneten, wichen im Lauf der Zeit nach Ansicht der Kritiker einer
größeren Lebenslust (Schulze-Reuber, 2005).
Reaktionen des Publikums
Die Reaktionen auf Pina Bauschs Tanztheater waren in den ersten
Jahren gespalten. Einerseits bildete sich schnell eine feste Gruppe von
Bewunderern am Wuppertaler Theater. Andererseits formierte sich bei den
Traditionalisten erbitterter Widerstand, der von Buhrufen im Theater
über tätliche Angriffe wie Anspucken bis zu nächtlichem Telefonterror
reichte. Pina Bausch sprach später von einem Missverständnis, da es ihr nie um Provokation ging, sondern um Ehrlichkeit und Wahrheit.
Pina Bausch setzte ihre choreografische Arbeit unbeirrt fort und
erlangte mit einer durchgängig hohen Qualität und ihrem Mut zum
künstlerischen Risiko bis Anfang der 1980er Jahre Weltruhm. Das deutsche
Tanztheater wurde ein äußerst erfolgreicher deutscher
„Kulturexportartikel“ und wirkte sich weltweit auf das choreografische
Schaffen aus.
Quelle: Wikipedia
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